Anhand von Beobachtungen wird deutlich, dass Synästhesie in der heutigen Zeit unter dem medialen Aspekt der digitalen Möglichkeiten als starkes Stilmittel benutzt wird. Es fällt jedoch auf, dass dieses Wahrnehmungsphänomen nach wie vor ein sehr unbekanntes Feld ist, Unwissenheit dominiert und selbst Gestalter und Kreativarbeitende sich nicht bewusst sind, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Dieser Widerspruch zwischen dem (unbewussten) Einsatz synästhetischer Fähigkeiten und der doch starken Unkenntnis (sowie des hier dargestellten Ergebnisses) zeigen, dass die synästhetische Wahrnehmungsform durchaus ein designrelevantes Medium ist und ihre Bedeutung und Rolle neu definiert werden müssen. Synästhesie bekommt insofern eine neue Bedeutung, als dass sich der Begriff aus dem für viele Menschen unklaren, unverständlichen und phänomenalen Charakter löst und sich der Gruppe der anwendenden Künstler, Designer bzw. Gestalter öffnet.
Es bedarf einer Neuorientierung zwischen echten und unechten Synästhesien, die folgendermaßen zu definieren sind: Eine unechte, bewusste Synästhesie bezieht sich auf das bewusst eingesetzte Stilmittel, um den Betrachter mit mehr als einem Sinn zu involvieren. So werden gleichzeitig zwei Sinneswahrnehmungen augenscheinlich aktiviert, die einen Mehrwert in Aufbereitung und Darstellung schaffen. Von einer echten Synästhesie hingegen ist die Rede, wenn die gekoppelte Wahrnehmungsfähigkeit angeboren ist und ohne manipulierende Einflüsse unvorhersehbar und nicht steuerbar auftritt. Diese Definition lässt sich zudem auf die intuitive, spontan auftretende, aus unbewussten Erfahrungen und eigener Sensibilität der Gestalter bei kreativen Designprozessen und Ideenmomenten, im Kontext der synästhetischen Wahrnehmungsform als Eigenschaft, denkbar adaptieren.
Kann sich jeder alles vorstellen? Haben alle Gestalter eine synästhetische Wahrnehmungsform? Diese Studie stellt eine erste Antwort des synästhetischen Vorstellungsvermögens von Gestaltern vor und zeigt im Designkontext eindeutig, dass das durchaus auf den Typ Gestalter zutreffend scheint. Ob nun die geschärfte, ausgeprägte und anscheinend synästhetische Empfindung den Designer zum Designer werden ließ oder ob erst durch das Gelernte, durch den wissentlichen Umgang mit Werkzeugen und geschulten Gestaltungspraktiken, die Sinneswahrnehmung geformt wird, bleibt in diesem Zusammenhang ungeklärt. Im Kontext der hier dargestellten empirischen Studie lässt sich eine synästhetische Wahrnehmungsform als Eigenschaft bei Gestaltern als eine perzeptive Übersetzungsmethode feststellen und stößt gleichzeitig die prozessuale Weiterentwicklung der synästhetischen Wahrnehmung im Designgedanken an. Der Diskurs deklamiert, dass eine synästhetische Wahrnehmungsform ein fester Bestandteil im gestalterischen Arbeitsprozess allgegenwärtig und instinktiv vorhanden ist, sich jedoch fester und bewusster im Designgedanken und als kreative Arbeitsmethode platzieren muss.
Gestalter reflektieren, hinterfragen, kombinieren, erfassen und werden durch subjektive und intuitive Entscheidungskriterien auf der Grundlage strategischer Absichten selbst zu einem Teil des Projektes. Leitideen und Konzepte sind dabei die Basis, die den inhaltlichen Gedanken transportieren. Diese Leitideen formulieren den Charakter und schließlich die formale Tonalität einer Gestaltung. Anhand dieser Studie zeigt sich eindeutig, dass Gestalter in der Lage sind, immaterielle, assoziationslose und bildleere Begrifflichkeiten wie zum Beispiel Echt, Mutig, Impulsiv oder Zufrieden mit intuitiven Formen und Zeichen füllen können und somit die Übersetzung von Charakterbegriffen zu Tonalitätsbeschreibungen nicht mehr zwangsläufig notwendig scheint, da die Wahrnehmung und Vorstellungskraft stark ausgeprägt ist.
Als einen Teilbereich des Design Thinking Prozesses, der das Konzept zur kreativen Problemlösung von David Kelley, Terry Winograd und Larry Leifer von der Stanford University beschreibt, ist neben dem Verstehen des Problems das Generieren von Ideen (Ideate) von Relevanz. Der Grundgedanke des Design Thinking ist der, dass insbesondere interdisziplinäre Teams herausragende, lösungsorientierte Innovationen erschaffen können. Der Design Thinking Prozess zielt darauf ab, möglichst unterschiedliche Erfahrungen, Meinungen und Perspektiven hinsichtlich einer Problemstellung zusammenzubringen. So zeigt auch die in diesem Essay vorgestellte Workshop-Methode, basierend auf dem Ziel der synästhetischen Studie, dass bei Gestaltern die Schärfung der eigenen Wahrnehmung durch gezieltes und bewusstes Auffordern zum Sehen und Wahrnehmen des eigenen sogenannten Monitors in Kombination verschiedener Sinnesreizungen ein Repertoire an Inhalt und Material generiert. Diese entstehende Materialsammlung an Bildern, Zeichen und Formen gibt schlussendlich Anreiz zur kreativen Bewusstseinsbildung. Es werden so neue Möglichkeiten, Inspirationen und Kombinationen geschaffen, die im zielorientierten Arbeitsalltag und akademisch geprägten Schaffen an Priorität und Wichtigkeit verlieren.
Die Betrachtung der insgesamt 641 Bilder zu den 30 verschiedenen Tönen sowie 1284 Bilder zu den 64 beschriebenen Begriffen und Wie-Worten ermöglicht einen Vergleich zwischen den Visualisierungsformen innerhalb der einzelnen Personengruppen. Die Auswertungen anhand einzelner herausstechender und allgemein zutreffender Beispiele lässt es nun zu, die vorangestellte Behauptung, dass alle Gestalter eine synästhetische Wahrnehmungsform haben, als bestätigt zu betrachten. Diese etwas zugespitzte These beinhaltet lediglich die Vermutung, dass Designer einen ausgeprägteren Sinn einer synästhetischen Wahrnehmungsform im Vergleich zu Personen besitzen, die nicht im kreativen Kontext beruflich tätig sind. Zudem ist sehr interessant, dass ebenfalls die befragten Gestalter der Überzeugung sind, dass sie eine ausgeprägtere Wahrnehmung besitzen und bewusster sehen als andere Menschen. In diesem Zusammenhang wird jedoch deutlich, dass hier in zwei Arten von einer synästhetischen Wahrnehmung unterschieden werden muss: Die genuine Synästhesie, die angeborene synästhetische Wahrnehmung, stellt sich ohne Zweifel als Phänomen dar. Eine Fähigkeit, die die Personen lebenslang begleitet und ihnen oft nicht bewusst ist. Mit anderen Worten, sie wissen nicht, dass ihre Wahrnehmung und wie sie die Welt und ihre Umgebung empfinden, für viele Menschen sonderbar und unverständlich ist, da Nicht-Betroffene diese nicht teilen. Auf der anderen Seite steht nun, was diese Studie bestätigt, eine neue Form der synästhetischen Wahrnehmung zur Diskussion. Eine bewusste, mitunter geschulte und eventuell auch in den Genen veranlagte Synästhesieform. In diesem Kontext sollte eher von einer synästhetischen Wahrnehmungsform als Eigenschaft die Rede sein. Eine Eigenschaft, die sich Gestalter und Designer unterbewusst zu Nutze machen, die ihre gestalterischen Fähigkeiten im Arbeitsprozess stützt und ihrem kreativen Schaffen vorangeht.
Das 204-seitige Essay beschreibt, analysiert und diskutiert die vorgestellte Studie sowie die daraus resultierenden Ergebnisse ausführlich. Zu dem werden die Begrifflichkeiten Evidenz, Quantifizierbarkeit, Intuition und Assoziation, intermodulare Analogie im Kontext von Wahrnehmung und Kommunikation genauer betrachtet.